Der Tannenbaum
Aufgeregt begann die junge Frau das geheimnisvolle Geschenk
auszupacken, das da in glänzender Folie vor ihr lag.
Es war ihre erste Weihnachtsfeier, die sie mit der Gruppe erlebte und sie
hatten gewichtelt. Diesmal sollten alle Geschenke mit dem Buchstaben „T“
anfangen.
Das Päckchen, das nun in ihren Händen darauf wartete,
enthüllt zu werden, zierte ein grüner Tannenbaum mit glitzernd goldenen
Sternen. Er sah aus, als hätte ihn jemand selbst gebastelt.
Während die junge Frau nacheinander ein Teelicht mit
Kerzenhalter und eine CD mit „T“, zum Vorschein brachte, schaute ich zu der
Frau, in deren Händen mit großer
Wahrscheinlichkeit das Geschenk entstanden war. Ihre Augen blickten zu der
jungen Frau, hoffnungsvoll und schweigsam, da die Urheberin des
Wichtelgeschenkes ja ein Geheimnis war und als wollten sie wissen, ob die
ausgewählten Wichtelchen den Geschmack getroffen hatten.
Der Tannenbaum wurde mit der Folie bei Seite gelegt, alle
staunten über das schöne Geschenk, gespannt, was die CD wohl bringen möge.
Während ich die Frau mir gegenüber ansah, dachte ich, dass
sie den Baum gewiss mit ihren Enkeln gebastelt hatte. Die Frau liebte ihre
Enkel sehr und auch das Gestalten mit ihnen machte ihr große Freude. Bestimmt
hatte sie beim Basteln an die noch ungewisse Frau gedacht, die den Tannenbaum
wichteln und bei dem er alsbald wohnen würde und es hatte ihr Herz erwärmt.
Als alle Päckchen ausgepackt, die Frauen nach einem schönen
Abend mit viel Gelächter und allerlei Geschichten glücklich und zufrieden nach
Hause gegangen waren, fiel auch ich in mein Bett, müde und dankbar, dass wir
wieder einmal in solch beschwingter, großer Runde hatten feiern dürfen und auch
die junge Frau in unserer Mitte wohl aufgenommen war.
Am nächsten Tag, fiel mir beim Aufräumen ein grüner Karton
in die Hände…säuberlich ausgeschnitten in der Form eines Baumes, mit sieben
glitzernden Sternen darauf.
Es war dies nun schon der dritte Baum in Folge, der meine
Aufmerksamkeit erregte. Es sollte offenbar das Jahr des Tannenbaumes sein.
Während ich ihn so betrachtete und ihm einen hübschen Platz
in der Dekoration auf dem Tisch gab, dachte ich darüber nach, wie wunderbar es
doch war, solch ein selbst gebasteltes Geschenk in Händen zu halten.
Sie hatten sich rar gemacht in den vergangenen Jahren. Früher hatte auch ich
gerne meiner Familie oder Freundinnen etwas Selbstgemachtes zu Weihnachten
geschenkt.
Als ich Teenagerin war und das Geld knapp, schien es mir immer eine gute Idee.
Seit geraumer Zeit hatte ich es immer mal wieder aufgegriffen, doch wenn die
Wünsche der Familienmitglieder einen Besuch in der Innenstadt oder im Internet
erforderten, waren sie in den Hintergrund getreten…
Dort lockten bunte Angebote in schillernden Farben, mit
Zusatzpräsenten oder zu attraktiv günstigen Preisen, so dass vor Weihnachten
geschäftiges Treiben herrschte.
Ich bevorzugte die kleinen Geschäfte, kaufte gerne bei
Menschen ein, die ich mochte und mit denen ich im Gespräch war. Es hatte etwas
Persönliches und so besuchte ich auch die heimeligen Weihnachtsmärkte, an denen
Menschen noch ihre selbst gefertigten Dinge verkauften.
Selbst gemacht…mit Herz von Hand für Menschen gedacht…
Da war es wieder und die schillernden Angebote rückten
erneut in den Hintergrund.
Es erinnerte mich an die kleinen, feinen Dinge des Lebens,
an die Heimeligkeiten, an den Geist der Weihnacht, der in jedem Stückchen
wohnt…
Weihnacht…was genau war und ist sie für mich? Ein Fest des
Herzens, in dem Menschen einander nahe sind oder es sein sollten. Das Fest der
Liebe.
Mit meiner Familie
und den Menschen, die mir wichtig sind, zusammen sein können, Dankbarkeit, ganz
viel Herzenswärme, auch einmal jemanden aufnehmen, der oder die vielleicht
alleine ist, lauschen – nach innen und den Menschen zuhören, es bedeutet so
viel… und , dass ich das Jahr revuepassieren lasse.
Dabei einmal mehr Dankbarkeit für das, was war und hatte sein dürfen und
besonders für die Menschen, für meine Arbeit, für alles, was mein Leben
ausmacht, was ich lernen und erfahren durfte…für Begegnungen und Momente.
Bunt Verpacktes kam dabei nicht vor. Oder doch? Sicher, auch
dafür bin ich dankbar, für die kleinen und großen Geschenke, die das Leben
bringt.
Mein Blick fällt auf den Tannenbaum und ich denke an die
große Tanne im Garten. In diesem Jahr war sie großer Hitze ausgesetzt und
heftigen Stürmen. Die Tanne hatte überlebt. Stolz steht sie und wird auch
weiter stehen. Das Leben hatte sie nur stärker gemacht.
Und so wird es auch in diesem Jahr für mich Tannen nur im
Walde geben. Geschenke nach Wunsch und
besonders von Herzen.
Erneut ist da ein Tannenbaum… diesmal unter der Tasse, die
ich in Händen halte. Ein Baum auf Stoff, den einmal Kinder malten, ein
Tischset, das meine Aufmerksamkeit fängt. – Selbstgemacht.
Wie die Kerze aus Bienenwachs. Ein Geschenk. Klein und fein,
wohl duftend. Dankbarkeit.
In mir regt sich der Wunsch nach mehr Selbstgemachtem, nach
Miteinander und besonders viel Zeit für Herzlichkeit…
Weihnachten…
© Isabelle Hassan,
diandra-circle.com, Weihnachten 2019